Roger Moore konnte es. Jean-Paul Belmondo und Alain Delon ebenso. Und Steve McQueen sah dabei sogar cool aus. Aber im wahren Leben sieht das schon etwas schwieriger aus – die hohe Kunst des „Daydrinkings“ – das Trinken am Tag. Egal ob ein Gläschen Prosecco im Büro, ein eiskalter Aperol Spritz in der Mittagssonne, ein fruchtiger Cocktail am Nachmittag, ein frisch gezapftes Feierabendbier oder ein heißer Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt – Daydrinking will gelernt sein.
Der aus dem Englischen stammende Begriff darf wortwörtlich übersetzt werden. Es handelt sich bei Daydrinking um das Trinken von alkoholischen Getränken am Tag.
Nicht jeder beherrscht es, erst recht nicht stilvoll. Und eben genau DAS ist die hohe Kunst. Denn wer will schon am Nachmittag betrunken über den Marktplatz torkeln. Das ist nur in Ausnahmefällen erlaubt: etwa am Wochenende bei einem Schützenfest in der Heimatstadt. Und auch da ist Vorsicht geboten. Wir kennen Fälle, in denen Leute, die bei einer gepflegten Party am Nachmittag sturzbetrunken vor die Theke gebrochen haben und danach gesellschaftlich regelrecht geächtet waren.
Die eigentliche Kunst des Daydrinkings besteht darin, die Grenze auszuloten: Wie weit man gehen kann, ohne über das Ziel hinauszutorkeln. Wir kennen Leute, die sich gerne mal zu einem guten Mittagessen ein schönes Glas Rotwein oder ein Bier gönnen und danach wieder ganz normal weiterarbeiten. Ebenso gibt es aber viele, die nach dem ersten Bier den Tag für lustig erklären und einfach weitertrinken, was die Gefahr beinhaltet, dass man die Grenze überschreitet, die ein gepflegtes Daydrinking per Definition ausmacht.
Ein leichter Rausch am Nachmittag hat seinen besonderen Charme. Damit ist nicht das kleine Gedeck in der Trinkhalle am frühen Morgen gemeint, auch nicht ein Besäufnis im Fußballstadion. Nein, wer schon einmal am Roxy Beach auf Mallorca oder im Sunset Beach auf Sylt in der Abendsonne gesessen hat und sich dabei ganz langsam einen kleinen Schwipps angetrunken hat, weiß was wir meinen. Wie formulierte Harald Juhnke so schön seine persönliche Definition von Glück: „Keine Termine und leicht einen sitzen“! Leider gehörte der große Harald eben auch nicht zu jenen Leuten, die das Daydrinking wirklich beherrschten; er schoss meistens über das Ziel hinaus. Es ist ein Kampf auf Messers Schneide, den man am besten mit einem Happen Essen gewinnt – zwar nicht so viel, dass man in Schläfrigkeit versinkt, aber gerade genug, um den Sonnenuntergang am Beach noch zu „Ain´t no sunshine when she´s gone“ von Bill Withers genießen zu können. Ein Aperol Spritz ist vernünftig; ein Campari Soda weise. Weißweinschorle ist – in Maßen – erlaubt; Champagner geht immer. Am besten Roséchampagner; dazu – immer: Wasser! Im Sonnenlicht zu trinken fühlt sich – natürlich nur gelegentlich – einfach gut an. Es taucht die Welt an einem perfekten Tag in ein anderes Licht. Wenn man das Daydrinking beherrscht!
Wichtig beim Daydrinking ist auch die trinkfreudige Gesellschaft. Wenn man mit Kegelclubfreunden am Ballermann sitzt und ein Bier mit einem Kurzen nach dem anderen auf den Tisch kommt, hat man am Daydrinking keine Freude. Schnaps sollte beim Daydrinking sowieso grundsätzlich keine Rolle spielen. Gemeint ist der gepflegte, leichte Rausch am Nachmittag, nach dem man am nächsten Tag keinen ekelhaften Kater verspürt. Das funktioniert natürlich am besten im Sommer bei schönem Wetter am Strand oder im Restaurant, geht aber auch im Winter am Glühweinstand – wichtig ist die perfekte Balance zwischen kleinem Rausch und Absturz! Daydrinking ist ein Ausdruck purer Freiheit, ein Symptom dafür, dass gerade alles passt: Die Menschen, die man mag, genug Zeit, sich fallen zu lassen, um etwas Unvernünftiges zu tun und das richtige Getränk dazu.
Aber immer daran denken – ich zitiere einen Satz aus einem Artikel des „Esquire“: Nur wer besonders gut aussieht oder jünger als 25 Jahre ist, kommt mit ekelhafter Volltrunkenheit davon…
Herzlichst, wo immer Ihr seid
Elke Siedentopf & Dirk Sork